Lektor Scriba aus dem Hospital Hofheim bittet über mehrere Jahre um Beförderung auf eine Pfarrstelle, wobei es Klagen über seine unzureichende Dienstauffassung gibt, 1798-1802

Jahr:1798
Autor: F. W. Scriba (* - + | 1792-1802 - Lektor in Hofheim)
Empfänger: Ludwig Friedrich, von Stamford (* - +19. August 1803 | 1786-1803 - Obervorsteher in Haina)
Signatur: LWV Hessen, Bestand 13, 5204, 5221, 5253
LWV Bestand 13, 5204
Hofheim, den 18. August 1798

Scriba an Obervorsteher von Stamford

„Reichs-Frei-Hochwohlgeborner gnädiger Herr Obervorsteher,

Ew[er] Reichs-Freiherrlichen Gnaden hochgeehrtes Schreiben vom 30.ten elapsi1, habe ich richtig erhalten und fühle mich gleich anfangs zu dem lautersten unterhänigen Danke wegen der Conferirung meines unterthänigen Gesuches in Rücksicht meiner contrahirenden2 Schuld beim hiesigen Hospital hingerißen, und das um so mehr – da ich aus dem weiteren Inhalt des Briefes, den Ew[er] Reichs-Freiherrlichen Gnaden an mich erliesen, mit traurigem Herzen ersah, daß auch ich meine Feinde habe, die mich in Dero Gewogenheit durch Nachrichten herabzuwürdigen suchen, deren Ungrund ich durch Aufstellung meiner Einnahme und Ausgabe, seit meines Hierseins, darthun könnte, wenn es mir sollte anbefohlen werden, und woraus ersichtlich würde, daß meine in den Jahren 1795 et 1796 ausgestandenen Krankheiten, meine erste Einrichtung, als ich hierher kam, die Anschaffung veschiedener nothwendigen Möbels, Kleidungsstücke und Bücher, und die Tilgung mancher Universitätsschulden, mich zur Aufnahme dieser 300 fl. nöthigten. Mein Vater, den auch Ew[er] Reichs Freiherrlichen Gnaden, als einen rechtschaffnen Manne kennen gelernt haben, würde mir auch gewis nicht die 250 fl., die ich in diesem Jahr dem hiesigen Hospital abtrug, vorgeschoßen haben, wenn ich ihm nicht zuvor die Rechnung über meine bisher geführte Haushaltung abgelegt und ihm dargethan hätte, daß ich weder Spieler noch Verschwender gewesen wäre. Und wäre meine Aufführung schlecht, dann auch, wie billig, Liebe und Unterstüzzung vergeblich bei ihm gefunden haben.
Ich habe demnach also auch das Zutrauen zu Ew[rer] Reichs-Freiherrlichen Gnaden, daß dieselben mir wegen diesen Beschwerden nicht Dero fernere Gewogenheit entziehen werden. Die gethane Vorstellungen und die als mein verehrungswürdiger Oberer mir deshalb zu geben könnende Befehle, erkenne ich nicht nur mit wahrem unterthänigem Danke, sondern ich werde mich auch dadurch von jezt an noch mehr aufmuntern laßen, alle meinem Stande schuldige Pflichten mit dem grösten Eifer obzuliegen, damit ich dadurch sowohl meine Feinde, die mich unverschuldeter Weise zu kränken suchen, zum Stillschweigen bringen, als auch Ew[er] Reichs-Freiherrliche Gnaden zeige, wie hoch ich die Gnade schäzze, die ich Denenselben durch die mir ertheilte Praesentation zu verdanken habe.
Mit wahrer Veneration3 nennt sich
Ew[er] Reichs-Freiherrliche Gnaden
unterthäniger Scriba“


Folgt ein weiteres Schreiben Scribas aus dem Folgejahr
LWV Bestand 13, 5253

Hofheim, den 26. September 1799

Scriba an Obervorsteher von Stamford

„Reichs-Freih[err], Hochwohlgeborner, gnädiger Herr Obervorsteher,

Durch den tödlichen Hintritt meines unvergeslichen Vaters ist meine tiefgebeugte Mutter sowohl, als 17 gröstentheils noch unversorgte und unerzogene Kinder, in eine Lage versezt worden, die meine Feder viel zu schwach ist zu beschreiben, und die nur durch die glükliche Katastrophe, daß nemlich mein Schwager, der Pfarrer Dinguldin zu Eschollbrükke, die Stelle meines s[eligen] Vaters erhielt, in so fern ist gemildert worden, daß meine Mutter dadurch eine Stüzze erhalten hat, wodurch sie im Stande ist, einigen meiner kleineren Geschwister eine zwekmäßige Erziehung zu geben. Ganz würde nun ihre Lage gebeßert, wenn sie nemlich mich, als dem ältesten ihrer Kinder, an einer beßeren Stelle versezt sähe, wo ich sie nicht nur thätig unterstüzzen, sondern wo ich ihr auch hülfreiche Hände zu Erziehung einiger meiner Geschwister reichen könnte. Wär mein Körperbau nicht so schwächlich, so würde sie bei Serenissimo4 gewis wegen meiner eingekommen seyn. Und da sie mit ihrer unmittelbaren Vorstellung an meinen Schwager reussirte5, so glaube ich, würde es mir auch nicht fehlgeschlagen seyn. Doch ich selbst sehe es ein, daß ich dieser so auch sauren Stelle nicht lange würde vorgestanden habe. Ich kam also blos bei einer Versezzung ein, welche ich aber, da das F[ürstliche] Consistorium, besonders der Direktor, unserer Familia nicht günstig scheint zu seyn, nicht erhielt, und nunmehro, da mein Schwager ganz gegen die Vorschläge des Consistoriums befördert wurde, zuverläßig bei den noch erledigten Pfarrstellen Niederwodau und Delkenheim durchfallen werde, wenn nicht außerordentliche Wege eingeschlagen werden, um zu seinem Ziel zu gelangen.
Überzeugt von dem gefühlvollen-theilnehmenden Herzen Ew[er] Reichs-Freiherrlichen Gnade wage ich es mich, in Hinsicht meiner Hochdenenselben schon bekannten traurigen Situation, an Hochdieselben zu wenden, und habe das feste Vertrauen, daß meine nachstehende unterthänige Bitte von denenselben nicht ungnädig wird aufgenommen werden.
Meine l[iebe] Mutter und ich glauben, wann Ew[er] Reichsfreiherrliche Gnaden die Gewogenheit hätten und mich entweder bei Serenissimo oder bei meinem hiesigen Forum durch eine Vorstellung empfehlen würden und als Beilage anführten, daß mir bei der Übernahme meiner gegenwärtigen Stelle von Seiten des hiesigen F[ürstlichen] Consistoriums wäre zugesichert worden, daß ich nach Verlauf von 6 Jahren Anspruch auf eine anderweitige Beförderung machen könnte (welche Zeit nun schon bei 2 Jahren vorüber ist) und daß ja selbst von F[ürstlicher] Verordnung es bekräftigt, einen Präzeptor litteratus6 nicht länger als 6 Jahren an einer Stelle zu laßen, auch daß ich nunmehr, dem Examen nach gerechnet, der älteste Kandidat wäre und also, ohne unbillig zu seyn, Anspruch auf eine beßere Stelle im Land hätte, zumal da ein längerer Aufenthalt an einer für Geist und Körper gleich niederschlagenden Stelle auf einen gefühlvollen Menschen den nachtheiligsten Einflus haben müste.
O, eine solche, den Lagen der Dinge nach angemeßene und gegründete Vorstellung von Seiten Ew[er] Reichsfreiherrlichen Gnaden glaube und hoffe ich, muß zu meinem Glük ausschlagen, und die hohe Gnade, die hochdieselben sowohl gegen meinen s[eligen], biedergesinnten Vater von je her bewiesen haben, läßt mich die Erfüllung dieser meiner unterthänigen Bitte hoffen, so wie meine tiefgebeugte Mutter das volle Zutrauen zu Dero biederen Gesinnungen hat, daß sie deshalb keine Fehlbitte möge gethan haben, weil sie nicht nur von Dero vielvermögenden Einflus, sondern auch selbst von der Billigkeit meines Gesuchs bei Serenissimo überzeugt ist und es mit Wehmuth sieht, wie sehr meine Gesundheit bei einem längeren Aufenthalt in Hofheim leidet, und wie glücklich sie dann wäre, wenn auch ich ihr thätig beistehen könnte.
Sich seiner unterthänigen Bitte getröstend, besonders eine baldige Erfüllung derselben, da mit der Besezzung dieser obengenannten beiden Pfarreien, wird geacht werden, nennt sich mit wahrer Veneration und unter dem unterthänigen Wunsch, daß Hochdieselben dieses Schreiben sowohl als die gethane unterthänige Bitte nicht verargen werden, die lediglich meiner traurigen Situation beigemeßen werden muß,
Ew[er] Reichsfreiherrlichen Gnaden
Unterthäniger Scriba
d[er] Z[eit] Lektor

Hofheim am 26: Sept[ember] 1799“

Folgt ein dritter Brief Scribas an Stamford
LWV Bestand 13, 5253

Hofheim, den 13. Dezember 1799

Scriba an Obervorsteher Stamford

„Reichs-Frei-Hochwohlgeborner, gnädiger Herr Obervorsteher

Schon lange fühlte ich den heisesten Drang in mir, Ew[er] Reichs-Freiherrlichen Gnaden nicht nur den unterthänigen Dank für Hochdero so gütigen und von wahrer Theilnahme zeugenden Verwendung um meine baldige Beförderung abzustatten, sondern auch um mein innigstes, tieffühlendes Beileid an dem Verluste, den Ew[er] Reichs-Freiherrliche Gnaden durch den so plözlichen Tode Hochdero so hofnungsvollen Herrn Sohnes erlitten haben, an den Tag zu legen. Aber da ich erst die Wiederbesezzung der beiden erwehnten Pfarreien abzuwarten gedachte, und es auch von meinem eigenen Gefühl herleiten konnte, daß zu frühe Erinnerung an den erlittenen Verlust die blutende Wunde von Neuem aufreißen müste, so hoffe ich deshalb von Ew[er] Reichs-Freiherrlichen Gnaden Verzeihung zu erhalten.
Leider! scheint mich das Schicksal zu einer längeren Ausdauer an den hiesigen, für ein allzu theilnehmendes Herz nicht paßenden und für meine Gesundheit schädlichen Aufenthalt bestimmt zu haben. Denn ich fiel bei den beiden Pfarrstellen ledig aus, und kann diese wirkliche Hintenansezzung Niemand anders zuschreiben, als: entweder meinem Mißgeschicke oder weil andere sich würksamern Kanäln zu verschaffen wusten, da sogar ein jüngerer Competent, der blos Privatunterricht gab und dem Staat nicht gedient hat, bei Delkenheim befördert wurde.
Da nun am 17. v[origen] Monats der Pfarrer Frey zu Epstadt mit dem Tode abgegangen ist, mir sich also dadurch eine neue Aussicht eröfnet, so hoffe ich bei dieser Stelle – denn sie ist eine der einträglichsten im Epsteiner Land – befördert zu werden, wenn mir das Glück nicht ganz den Rükken kehren will. Und besonders wenn nochmals von Ew[er] Reichs-Freiherrlichen Gnaden eine solche Empfehlung, als die lezte war, könnte erlaßen werden. Ich zweifele nicht, daß mein Gesuch dadurch unendlich gewinnen würde, zumal da die von Hochdenenselben mir so schmeichelnde, schon erlaßene Empfehlung beim F[ürstlichen] Consistorium, an die sie von Serenissimo7 ist abgeschickt worden, sehr vielen Eindruck gemacht hat, und gewis darauf wäre Rücksicht genommen worden, wenn nicht andere zuvor von Serenissimo wären begünstigt worden.
Ich gestehe es, mein Herz fühlt sehr das Unschickliche dieser abermahligen unterthänigen Bitte. Aber in der trüben Situation, in der ich mich befinde und die sich täglich mehrt, da mir auch durch den Tod meines unvergeßlichen Vaters, der uns auch auf eine so plözliche Art (der Schlag rührte ihn) ist entrißen worden, die Hauptfürsprache entgieng, so hoffe ich, Ew[er] Reichs-Freiherrliche Gnaden werden mir diesen Schritt verzeihen und diese meine unterthänige Bitte nicht unerfüllt laßen.
Meine liebe Mutter, die sich Hochdenenselben unterthänig empfehlen läßt, fühlt sich mit dem lautersten Danke gegen die mir erwießene hohe Gnade erfüllt und ist ganz von dem wärmsten Gefühl des Beileids über den Ew[er] Reichs-Freiherrliche Gnaden erlittenen Trauerfal hingerißen. „Auch ich“ – sagte, sie – „habe es empfunden, was Eltern der Verlust eines lieben Kindes ist, auch ich fühl es, was der Gattin die Entreißung eines treuen Gatten auf eine so plözliche Art kostet und für Wunden schlägt.“
Mit wahrer Veneration nennt sich
Ew[er] Reichs-Freiherrlichen Gnaden

Unterthäniger Scriba

Hofheim am 13. Dec[ember] 1799“


Folg ein Bericht von Vogt Reuß aus Hofheim über die Person Scribas
LWV Bestand 13, 5221

Vogt Reuß an Obervorsteher Stamford

Hofheim, den 28. Januar 1800

„Hochwohlgebohrner Freyherr, Hochzuverehrender Herr Obervorsteher!

Als H[err] Lector Scriba vernommen hatte, daß der Chirurgus Kilian wegen seiner Forderung Klage gegen ihn erhoben hatte, suchte er denselben alsobald zu befriedigen. Ew[er] Hochwohlgeb[oren] belieben nun den Schuldschein gefälligst an mich zur weitern Abgabe zu remittiren8.
Ohngeachtet der vielen seit 1 Jahr vacant9 gewordenen geistlichen Stellen, und ob gleich ich mich ebenfalls für H[errn] Lector bey dem H[errn] Geheimde Rath v[on] Lehmann verwendet habe, um ihn hier los zu werden, so ist er dennoch bis dato leer durchgefallen. Und hat noch wenig Hoffnung zu einer anderwärtigen Anstellung, woran er aber einig und allein schuld ist, denn es vergehet fast keine Woche, wo derselbe nicht 2 bis 4 Tage in Darmstadt bey seinem Mädchen und beym Spiel sitzet. Dieses Betragen ist meistens Fürstl[ichem] Consist[orium] bekanndt und alßo die Ursache seiner Nichtbeförderung. Es scheint als ob er glaube, das Hospithal seye seinetwegen und er nicht des Hospital wegen hier.
Alle meine Ermahn- und Drohungen sind fruchtloß. Unter taußenden lügenhaften Vorwänden, die ich alle schriftl[ich] beweißen kann, nimmt er alle Augenblick auf 1 bis 2 Tage schriftl[ich] Urlaub, denn gesprochen hab ich ihn seit 1 Jahr nicht. Gewöhnlich erhalte ich aber seine Billets erst, wenn er schon einige Stunde vorher verreißt ist. Und dann bleibt er immer noch einmal so lange aus. Öfters laßt er mich sein Weggehen gar nicht wißen. Und bin ich abweßend, so ist ers gewiß auch.
Ew[er] Hochwohlgeb[oren] können also hieraus nehmen, wie dieser Mann die Hospitalitten und meine arme Kinder negligiret10. Sage ich ihme das geringste deshalben, so müstens die unschuldigen Kinder entgelden. Ließe es meine Besoldung oder Vermögensumstände zu, so würde ich einen Informator11 ins Hauß nehmen, um meine Kinder, um welchen willen ich mir nur noch das Leben wünsche, nicht wie Wilde aufwachßen zu lassen.
Dieser Umstand nebst meinem mancherley sonstigen Verdruß, und die Geschicht mit dem hiesigen Pächter, die für mich und das Hospithal täglich schlimmer wird, werden mich nach langem vergebenem Ausharren endlich nöthigen, meine viele hier angewandten Kosten mit dem Rücken anzusehen und meine gnädigsten Fürsten um meine Versetzung zu bitten. Denn sollte mich der Kummer und die viele Argernuß abermalen aufs Krankenlager werfen, so möchte ich schwehrlich davon kommen. Hauptsächlichen, da ich mich von meiner lezten Krankheit noch nicht völlig erholt habe.
Herr Hofrath Stockhaus hat ausgelitten. Er ist vor kurzem verstorben. Ich würde Ew[er] Hochwohlgeb[oren] ehender davon benachrichtiget haben, wenn ich mich nicht zuvor noch um ein taugliches Subject zu dem vacant gewordenen Syndicat12 hätte erkundigen wollen. Mehrere junge Advocaten in Darmstadt haben nachgefragt, was für einen fixen Gehalt diese Stelle habe. Da sie aber hörten, daß keine Besoldung damit verknüpft seye, bezeigten sie keinen Lusten mehr dazu. Es möchte zwar doch noch einige davon sich darum melden. Es ist aber hauptsächlich nöthig, daß man diese Stelle einem erfahrenen und angesehenen Advocaten übertrage, weilen man so viele Ursache zu klagen gegen die hiesige Amtleute hat, die 6 Mal an sich schreiben laßen, ohne einem zu antworten und fast alle Executionen13 liegen laßen. Ein junger Advocat sucht was bey Amt zu verdienen und deshalben entzweit er sich nicht gerne mit dem Beamten, wie würcklich der Fall aus der Beylage zu ersehen ist. Diese Sache ist zu weitläufig, um Ew[er] Hochwohlgeb[oren] sie mittheilen zu können. Nur wollte ich denenselben sagen, daß ich auf dis Schreiben hier, dem H[errn] Amtmann Lehr nach Darmstadt 2 Mal geschrieben. Endlich von demselben die Antwort erhielte, daß die Auspfändung dem H[errn] Obrist Stockmare übertragen worden. Und als ich deshalben an lezteren mich wendete, von ihme zur Antwort erhielte, daß er noch gar desfalls nichts vom Amt empfangen habe. So bald es aber geschehen, würde er ohne Nachsicht dem Säckler14 Lind auspfänden laßen. So wird man von einem an den anderen gewießen. Wie nöthig es also es ist, das Syndicat einem thätigen und angesehenen Regierungsadvocaten zu übertragen, der nicht von denen Amtleuten abhänget, werden Ew[er] Hochwohlgeb[oren] einsehen. Ich habe deshalben mit H[errn] Hofrath Sell gesprochen, der nicht abgeneigt wäre, diese Stelle zu übernehmen, wenn sie ihme von Ew[er] Hochwohlgeb[oren] übertragen würde. Darum aber per Memoriale einzukommen, thut er nicht gerne. H[err] Reg[ierungs]rath Rayhs wünschet es ebenfalls.
In Erwartung hochdero Entschlußes bestehe ich mit vorzüglicher Hochachtung
unterthäniger Reuhs

Hofheim, den 28.en Jan: 1800“


Dem Schreiben liegt ein Konzept von Stamfords an den Landgrafen in Darmstadt bei
Haina, 1. Oktober 1799

Obervorsteher Stamford an Serenissimum in Darmstadt

„An S[erenissimum clem[entissimum]15 Darmst[adt]

Eure H[ochfürstliche Durchlaucht] haben vor fast 8 Jahren den ältesten Sohn des jezt verstorbenen Pfarrers Scriba, der Vater von 18 Kindern gewesen, auf meine unterth[änige] Praesentation als Lector nach Hofheim gnädigst zu bestellen geruht. Dieser Mensch ist aber nun nach dem würklichen Hintritt seines Vaters bey seinem schmalen Gehalt nicht im Stande, weder seine Mutter noch einige von seinen unerzogenen Geschwistern nach seinem aufrechten Wunsch zu unterstützen. Aus diesem Grunde nun ist er um eine oder die andere der gegenwärtig erledigten Pfarrstellen zu Niederwobau und Delckenheim submissest16 eingekommen, wobei er mich zugleich ersucht hat, daß ich ihn Euer H[ochfürstlichen Durchlaucht] Gnade empfehlen möchte. Gerührt, unaussprechlich gerührt durch den grosen Verlust, der eine so äußerst zahlreiche Familie, zumal da ich mit der Aufführung und dem Eifer des Lector Scriba zufrieden zu seyn Ursache habe, wage ichs demnach um so mehr, Höchstdieselben hierdurch devotest zu bitten, daß höchst Dieselben ihm eine von obgenannten beyden vacanten Predigerstellen gnädigst zu verleihen geruhen wollen. Als ihm vom Fürstl[ichen] Consistorio die Zusage damals geschahe, als er nach Hofheim befördert wurde, daß auf ihr nach 6 Jahren auf eine beßere Stelle Rücksicht genommen werden solle. Nie vergehender Dank wird auf immer diese Familie, die dadurch eine Unterstützung erhalten würde, dafür empfinden, und H[ochfürstliche] D[urchlaucht] würden der Welt neue Beweiße von derjenigen erhabenen huldvollen Großmuth und Menschenliebe, welche höchst Deroselben ganze ruhmvolle Regierung auszeichnen, mittheilen. Ich selbst würde es als ein unverkennbares Merkmal H[ochfürstlicher] D[urchlaucht] Gnade gegen mich ansehn, wofern meine unterthänigste Bitte erhöret würde. In dieser frohen Hofnung ersterbe ich in tiefster Ehrfurcht
Ew[er] H[ochfürstlichen] D[urchlaucht]
Haina, den 1.ten [Octobris] 1799“

Viertes Schreiben von Scriba an den Obervorsteher von Stamford
LWV Bestand 13, 5253

Hofheim, den 14. Februar 1800

Scriba an Obervorsteher von Stamford

„Reichs-Frei-Hochwohlgeborner, gnädiger Herr Obervorsteher,

Was ich bei Durchlesung Ew[er] Reichs-Freiherrlichen Gnaden geehrtem Schreiben vom 8.ten dieses Monats empfand, wie sehr mein ohnehin zerrißenes, durch manche harte Schläge des mir abholden Schicksals verwundetes Herz dadurch ist niedergebeugt worden, und wie so ganz jeder Trost, jede gehegte Hofnung meiner guten-leidenden Mutter sowohl, die durch mich bald eine Unterstüzzung für ihre noch 8 unerzogenen Kinder zu erhalten hofte, als meines sehnlichsten Wunsches verschwunden ist, da ich sehr befürchte in der mir so schäzbaren Gewogenheit Ew[er] Reichsfreiherrlichen Gnaden viel verloren zu haben - - das Alles läßt sich nur fühlen, aber nicht beschreiben. „Guter Gott (dachte ich) ist es dann dem Menschen in der jezzigen Welt zur andern Natur geworden, daß er einen gut seyn wollenden und theilnehmenden Menschen nicht unter sich sehen kann, ohne ihn durch nachtheilige Nachreden bei seinen Vorgesezten zu verunglimpfen? – Ist es dann nicht genug, daß man schon deshalb beneidet, verfolgt und der Verachtung Preiß gegeben wird, weil man sich durch seine Gutherzigkeit in frühen Jahren zu Thaten verleithen ließ, die eher zu loben als zu tadeln sind, und die – o, ich gestehe es gern, denn mein inneres-reines Bewustseyn schweigt – eine Hauptursache sind, daß ich in Schulden gerieht, welche zu bezahlen ich nun schon bei meiner gegenwärtigen Stelle 3 Jahr lang mir die nötigste Bedürfniße entziehe und über 1 Jahr eine Kost genieße, die einem, so mein Amte gemäßen sizzenden Menschen für seine Gesundheit nachtheilig seyn muß, wenn er sich nicht körperliche Bewegung vollauf verschaft? - - Haben dann die Menschen sich gleichsam verschworen mich zum Opfer (ja, ich kann es sagen, daß ich allen Menschen von Herzen gut bin, daß eine Träne des Kummers abgewischt zu haben mich mit den seligsten Gefühlen erfüllt, und daß mein Herz blutet, wenn ich andere leiden sehe und nicht helfen kann) einer Familie zu machen, deßen Erzeuger der edelste-biederste Mann war, der blos seiner Redlichkeit und Aufrichtigkeit halber sich den Haß eines Mannes zuzog, der am Ruder sizt und deßen Bedrükkung ich besonders jezt fühlen muß?“
O, mein Herz ist so voll, es ist allzusehr erschüttert, es blutet so heftig und ich bin allzutief in den Staub hingedrukt, als daß ich Ew[er] Reichsfreiherrlichen Gnaden eine getreue Schilderung meiner ehemaligen und gegenwärtigen Verhältnißen liefern oder Hochdieselben überzeugen könne, wie viel ich nun schon seit dem Tode meines Oheims Katz und meines guten Vaters hier gelitten habe, wie meine gegenwärtige Stelle ganz und gar nicht der Posten ist, wo ich nach meinen Gefühlen so viel Gutes stiften kann, als ich gewis schuldigst wünsche. Denn mein Herz fühlt sich zu innig zu den Leiden der Menschen hingerißen und ich nehme zu warmen Antheil an ihrer traurigen Lage, als daß ich nicht immer in Gefahr schweben sollte, Gesundheit des Körpers und des Geistes zu verlieren. – Entziehung dieses nie gewohnt werdend könnenden Anbliks ja zuweilen ist noch das einzige Mittel, wodurch ich nicht ganz zum Mysantropen17 oder Melancholen umgewandelt werde.
Zu Ew[er] Reichsfreiherrlichen Gnaden nahm ich in meiner traurigen Situation meine Zuflucht in der gewißen Überzeugung, daß meine – zwar etwas zu viel gewagte – unterthänige Bitte Gehör finden würde, indem ich es lebhafft fühle, daß Hochdieselben mit einer theilnehmenden gewis auch eine gerne helfend wollende Gesinnung verbinden, welche mich jederzeit mit der innigsten und aufrichtigsten Hochachtung und kindlichen Ehrfurcht erfüllte und – ich wurde erhört, fand eine Protektion an Ew[er] Reichsfreiherrlichen Gnaden, durch die ich allen meinen Beneidern und Verfolgern eine Mauer entgegen stellen konnte, hinter der ich bald am Ziehle meines Wunsches zu seyn glaubte. Doch es schlug fehl, und die kleinlichste Rache unsers Familienfeindes siegte. O, wie schlug mein Herz damals, als ich von Hochdemselben die Nachricht einer warlich! väterlichen Annahme erhielt, so hofnungsvoll. Wie feurig war mein Wunsch, daß der gute Vater im Himmel Hochdieselben für diese edele Handlung segnen und beglückken möge. Und wie ernstlich und unerschütterlich war mein Vorsaz: keine meiner schuldigen Pflichten, und sollte auch mein Herz darunter brechen, hintenanzusezzen! Mein Gewißen sagt mir jezt, daß ich nach meinen Kräften bisher gehandelt habe. – Daß ich nur einen abermaligen Versuch wagte, um der kabala18 entgegen zu arbeiten, werden mir gewis Ew[re] Reichsfreiherrlichen Gnaden – zumal da ich aus unbezweifelten Gründen weiß, daß die von Hochdenselben erlaßene Empfehlung, sehr zu meinem Vortheil würkte – unterthänig verzeihen, so wie ich es mit dem wärmsten Danke erkenne, daß Hochdieselben mir das Gefühl eines väterlichen Wohlwollens dadurch zu erkennen geben, weil ich doch nun weiß, daß meine unterthänige Bitte einen gerechten Grund der Nichterfüllung hat. Welchen Grund ich gewis ehre, und auch meine an mir tragende Fehler, die zwar mehr als vergrößert Ew[er] Reichsfreiherrlichen Gnaden sind hinterbracht worden, nach allen meinen Kräften abzulegen mich bestreben werde. Zu meiner Entschuldigung will ich hier nichts weiter sagen, als ich bin ein fehlender Mensch. Meine traurige Situation und das lästige, den Geist niederschlagende meiner gegenwärtigen Stelle läßt mich vielleicht manchen Schritt thun, der mit der so eingeschränkten Lage eines Geistlichen hier äußerlich nicht harmoniert, aber von dem ich doch vor Gott und meinem Gewißen jederzeit Rechenschaft ablegen kann, und von dem ich auch das Bewustsein habe, daß weder mein Charakter, noch auch andere Menschen, am wenigsten aber die mir angetraute Seelsorge meiner Zuhörer ist verschlimmert worden. Ich bin kein Spieler, ich meine ein solcher, der ein Fait19 daraus macht, der seine Zeit, die seine Pflichten fordern, damit tödtet oder der wohl gar um hohe Summen spielt. Sondern wie ich zuweilen mit einem guten Freund spiele, glaube ich jeder Untersuchung unterwerfen zu können. Ich bin kein Trinker, denn Wein oder jedes andere Getränk war von jeher ein antipode20 meiner Neigung, zumal wenn einer mehr, als einer vertragen kann zu sich nimmt. Und gegenwärtig lehrt es mich meine bisher zerrüttet gewesene Oekonomie an keinen Wein zu denken. –
Schweigen und dulden, glaube ich, ist in meiner Lage beßer, als durch Fortfahren meiner Vertheidigung jemand zu nahe zu tretten, welches auch mein fester Vorsaz bleibt. Und sollte ich ein Opfer meiner Feinde werden, und sollte mich die Verläumdungssucht in den Staub tretten, und sollte ich mein Stück Brod zu betteln oder mit der Hakke zu verdienen gezwungen seyn. Beßer unschuldig leiden, als sich mit dem Vorwurf herum schleppen zu müßen: Haß mit Haß, Verläumdung mit Verläumdung vergolten zu haben.
Was nun noch zulezt mein persönliches Anzeigen, wenn ich auf einen Tag das Hospital verlaßen, bei Herrn Hofrath Reuß betrifft: so nahme ich hier meine Zuflucht zu Ew[er] Reichsfreiherrlichen Gnaden bekannte Großmuth und bitte Hochdieselben unterthänig, daß es mir – wie bisher immer von mir geschah – vergönnt werden möchte, den Herrn Hofrath schriftlich darum bitten zu dörfen, da meine Leiden mich so abgestumpft und scheu gemacht haben, daß es meinem Herzen sehr wehe thut, wenn ich mündlich jemand um etwas bitten soll. Gott weiß es: diese Bitte thue ich an Hochdieselbe nicht aus Wiedersezlichkeit gegen Dero Befehle, auch nicht aus irgend einer unlöblichen Nebenabsicht gegen den H[errn] Hofrath Reuß, sondern lediglich, wie schon gesagt, weil Leiden mich furchtsam und scheu gemacht haben.
Die Erhaltung der mir so schäzbaren Gewogenheit Ew[er] Reichsfreiherrlichen Gnade wird sich mit allem Eifer angelegen laßen, und ich werde mich glücklich schäzzen, wenn meine Aufrichtigkeit Hochdieselben als einen Beweiß meiner unbegränzten Hochachtung und Veneration annehmen würden, von Ew[er] Reichsfreiherrlichen Gnaden unterthäniger Scriba.
Hospital Hofheim am 14. Febr[uar] 1800“

Letzter Brief Scribas an Obervorsteher von Stamford
LWV Bestand 13, 5253

Hofheim, den 13. März 1802

Scriba an Stamford

„Reichs-Frei-Hochwohlgeborner,
gnädiger Herr Obervorsteher

Ser[enissi]mus clem[entissimus] geruhten mich unterm 12.ten dieses zum Pfarrer in Ullrichstein im Oberfürstenthum gnädigst zu ernennen. Welches ich hierdurch Ew[er] Reichsfreiherrlichen Gnaden nicht nur, meiner Pflicht gemäß, unterthänig habe anzeigen wollen, sondern auch für die mir von Hochdemselben bisher erwießene Gnade den lautersten Dank abstatten.
Ich habe während meiner zehnjährigen Dienstzeit manches erfahren, welches mir zur ruhigen Fortsezzung meines lebens und zur treuen Erfüllung meiner Obliegenheiten vielen ersprießlichen Nuzzen gewähren wird. Ich habe zu allem geschwiegen und – werde ewig schweigen, wodurch mir mein trauriger Aufenthalt in Hofheim ist erschwert worden. Und werde blos das Bewustsein mit mir nehmen, daß ich als Christ und Mensch gehandelt habe. – Ew[er] Reichsfreiherrlichen Gnaden gutes – theilnehmendes Herz und Hochdero mir bisher geschenkte Gewogenheit waren noch immer mein Trost, und die Fortdauer derselben hoft sich auch entfernt würdig zu betragen.
Ew[er] Reichsfreiherrlichen Gnaden
unterthäniger Scriba
Hofheim am 13.ten Marz 1802“

1 : vergangenen Monats
2 : vereinbarten
3 : Verehrung
4 : Landgrafen
5 : Erfolg hatte
6 : gebildeten Erzieher
7 : Landgrafen
8 : zurück zu senden
9 : frei/ledig
10 : vernachlässigt
11 : Privatlehrer
12 : Rechtsvertretung
13 : Anordnungen
14 : Beutelmacher
15 : gnädigste Durchlaucht
16 : untertänigst
17 : Menschenfeind
18 : unklare Bedeutung
19 : Lebensstil
20 : Widersacher

Personen
Schlagworte: Armut, Bestallung, Hofheim, Korrespondenz, Nepotismus/Netzwerke,