Streit zwischen dem Pfarrer und Schulmeister in Hofheim über die Accidentien, die für Beerdigungen gegeben werden. Der Pfarrer reklamiert diese für sich
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Hochwohlgeborene, Hochwürdige, Hochedelgeborene und Hochgelahrte, zu dem Hochfürstl[ichen] Consistorio Hochverordnete Herren, Herrn Praesident, Canzlar, Director, Consistorii sodann übrige Geist- und Weltl[iche] Herrn Räthe und Assessores
G[nädi]ge, gr[oßgünstige] und hochgebietende Herren.

Ew[re] Hochwohlgeborene Excell[enzen], Hochw[ü]rd[ige], Hochedelgeborene, Gestr[enge] und Herrl[iche] geruhen gn[ädig] zu vernehmen, wie im Hospital Hofheim die Todten, ohne daß solches dem Pfarrer angezeiget und in das Kirchenprotocoll eingeschrieben weilher begraben werden. Zu Zeiten des vorigen Pfarrer Rohlers sind alle Hospithal-Pfründner mit ordentl[ichen] Leich-Predigten beerdiget worden und der Hospithal die jura stolae entrichtet. Herr Obervorsteher von Geißmar aber hat solches geändert und abgestellet, dann die Armen bey ihrer Beerdigung kein Gepräng bräuchten. Nachgehends also sind solche ohne Predigt und Sermon durch den Hospithal-Schulmeister mit Gesang, Läutung der Glocken und Begleitung der sämtl[ichen] Hospitaliten in ihren ordenttägl[ichen] Betstunden beerdiget worden. Haben aber jemandes Freunde bey ihrer Leich eine ordentliche Predigt verlangt, hat solche der ordentl[iche] Pfarrer verrichtet und von ihnen das accidens empfangen. Unterschiedlich Armen haben sich im Leben etwas ersparet und mit einer Leich-Predigt begraben worden. Nachdem aber der zeitige Lector und Schulmeister Müller ein studiosus theolog[us] Sermones und Leich-Predigt hält, das Accidens sich zahlen läßet, so geschiehet hierdurch denen Rechten hiesiger Pfarr ein mercklicher Eingriff, umso mehr, da dieser Lector ganz independent seyn und sich vor keinen Subordinatum des Pfarrers halten will. Ew[re] Hochwohlgeborene Excell[enzen], Hochw[ü]rd[ige], Hochedelgeborene, Gestr[enge] und Herrl[iche] habe dieses mit gehorsamster Bitte berichten sollen, die Jura hiesiger Pfarr in Gnaden zu conserviren und ohne vorgreiffl[ich] gehorsamste Maßgab zu befehlen, daß alle, so in dem Hospithal verstorben, dem Pfarrer angezeiget werden, um in das Seelenregister oder Kirchen-Buch einzuschreiben, wie alle Pfarrer wegen der Begräbniß zu disponiren, es auch im Hospithal geschehe, und der Lector oder Schulmeister sie nach der im Hospithal üblichen Observance ohne Leichsermon und Predigt in seinen tägl[ich] zuhaltenden Betstunden beerdigen möge.
Getröstet sich in solchem, das Amt concernirenden Petito einer gn[ädigen] Hülffe.
Ew[re] Hochwohlgeborene Excell[enzen], Hochwürd[ige], Hochedelgeborene, Gestr[enge] und Herrl[iche]
unterthänig gehorsamster
Wilh. Balth. Wagner

Crumstatt
d[en] 30. Aug. 1730“


Hierauf verteidigt sich Lector und Controlleur Heinrich Conradt Müller, Hofheim, den 30. September 1730

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Eine mir Endsbemeldten auferlegte so schuldig als gehorsame Verantwortung

Der Herr Pfarrer zu Crumstatt hat gegen mich dreyerley Beschwerde (a:) Daß ich denen Armen Leichensermones hielte, und (b:) mir deßfalß das Accidens bezahlen ließe, so fort (c:) independent seyn und mich letzlich von demselben vor keinen Subordinatum profitiren wollet. Ehe und bevor ich nun zu der speciellen Verantwortung schreite, so muß kürtzl[ich] praenotiren, daß ged[achten] H[errn] Pfarrers seel[iger] H[err] Vatter so wenig alß er jemahlen eine Leichsermon gethan, es seye dann, daß deßfalß ein Rthl entrichtet worden. Weilen nun in zehen Jahren kaum einmal sich zugetragen, daß des Defuncti Erben sich zu Entrichtung derer Jurium stolae in sothaner Maaß anerbotten, so hat ein zeitiger Lector illitteratus das Gesäng und darbey eine Sermon pro posse, oder mit Lesung eines Capitels auch sonsten etwas, es schicke sich oder schicke sich nicht, verrichtet. Ein Literatus aber ein mehrers, jedoch gratis bewürcket. Und dergestalten ist es, wie dem H[errn] Hospithalmeister alß einem alten und erfahrnen Diener am besten bekandt ist, seit 40 und mehr Jahren verblieben. Die Haupt-Veranlaßung, aber daß H[err] Pfarrer Wagner sein mit dem Temperament des Geitzes sich dermahlen sympathetisirendes Gemüth zeigen wollen, mag wohl daher den Ursprung nehmen, weilen ich kürzlich alß d[es Herrn] Pfarrer zu Franckfurth auf der Freyerey gewesen, von einer der Leuchterin gehaltene Leichesermon von deren Sohn, ultro, und ohne ein Wort deßfalß zu verliehren, 2. fl. anerbotten bekommen und endl[ich], nachdem mir solche per modum donationis aufgenöthiget worden, deren Annehmung nicht genegiret habe. Hiernechst nun hat das vermeintliche gravamen 1mum allschon in antecessum seine abhülffliche Maas erlangt, zumahlen Leich-Sermones zu halten ein Werck der Liebe und unverbotten, ja gar in Wetzlar und deren Orten gemeinen Bürgern gestattet ist. Überhaupt so predige ich Gottes Wort, wils nun mehrgemelter H[err] Pfarrer nicht leiden, so ist zu schließen, er sey entweder ein Feind von Gott und seinem Wort, mithin die Schrifft nicht verstehet, da Paulus auch falschen Aposteln verstattet das Wort caeteris paribus zu predigen. Philipp: 24 Cap[itel] 1, V[ers] 19 oder aber Neid und Misgunst. Also bedarff das vermeintl[iche] gravamen 2dum vermög der in specie facti angezogenen Umständen keiner weiteren Antwort. Und dasjenige quoad 3tium überlaße ich höherer Dijudication, zumahlen ich alß Controlleur des zeitigen Pfarrers praetendirten Subordination notorie verwerffe. Vor dasjenige aber, was ich qua Lector thue, jedermann responsable zu seyn nicht denegire, auser dem auch, wann manches Mahl ohne mein Verschulden eine Saumseeligkeit verspuret wird, d[er Herr] Hospithalmeister gar geschwind auf der Haube habe. Hospithal Hofheim, d[en] 30. Septembris a[nn]o 1730

Heinrich Conradt Müller
{p[ro] t[empore]|zur Zeit Lector et Controlleur ibid[em]
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