Der körperbehinderte Conrad Hederich bittet um die Überlassung der Leserstelle im Hospital Haina
„Bitschrift von Conrad Hederich um die Hainische Leserstelle“
undatiert, präs. in Darmstadt, den 5. Juni 1711
„Durchleuchtigster Fürst,
Gnädigster Fürst und Herr!
Ewer Hochfürstl[iche] Durchlaucht kan unterth[äni]gst länger nicht bergen, welcher Gestalt ich
zu Maulbach, Ambts Homberg an der Ohm, bürtig, aber unvermügend und darzu an der lincken Hand gantz lahm, mithin sehr übel dran bin. In meiner Jugend habe mich zum Studiren begeben, und nachgehends biß nunmehr ins 48. Jahr mit
Informiren mich zwar durchgebracht, dieweilen aber mir die Jahr auff den Halß kommen und Privatinformationes sich dermahlen keine mehr vor meinen Zustand praesentiren wollen, auch ohne das etwas Unbeständiges seynd, so habe vor einiger Zeit bey dem Obervorsteher des hohen Sambt Hospitals Haina umb die Leserstelle daselbst geziemend mich angemeldet, vor selbem so wohl alß eben zugegen gewesenen gemeinschafftlichen Commissarien eine Predigt abgelegt, nach welcher dieselbe sich vernehmen lassen, daß die gebetene Lectorsstelle schon vor mich seye und beyderseits Gnädigste Herrschafften ich deßwegen unterthänigst anruffen solte.
Nun stehe in der Zuversicht, wann es auff Bericht des adel[ichen] Obervorstehers und gemeinschafftl[ichen] Commissarien außgestelt wird, daß solcher nach der Wahreit und zu meinem, alß eines
commiserationsbedürftigen Menschen
Soulagement werde eingerichtet seyn. Nachdeme iedoch der Pfarrer Arnoldi in besagtem hohen Sambthospital den noch vorhandenen Lectorem, der ein
vitium linguae hat, und deßwegen ein anderer verlanget wird,
zu manuteniren scheinet, wiewohl diese Person noch einen aparten Dienst, neml[ich] alß Gerichtschreiber vorsiehet. So überlasse Ewer hochfürstl[ichen] Durchl[aucht] hoher Disposition und Gnade mich unterth[äni]gst, in Hoffnung, wofern man diese Leserstelle mir nicht anvertrauen möchte, daß dieselbe hingegen g[nädi]gst geruhen werden, mich armen, lahmen doch redlichen menschen, alß ein Landskind, so nun seith 48 Jahr in groser Mühseeligkeit und Jammer geschwebet, in dero Sambthospital Haina ohne unterthänigste Masgebung, die so genante Studentenkost künfftig geniesen zu lassen, welches eine sehr große Gnade seyn auch vom formalen Armuthey mich erlösen würde. Und wolle den grundgütigsten Gott vor das hohe Wohlwesen beyderseits hochfürstl[ichen] Durchl[aucht] ich alßdann beständigst anruffen, in deme ohne das biß ans Ende zuverharren gedencke.
Ew[er] Hochfürstl[ichen] Durchl[aucht]
unterthänigst gehorsamster
Johann Conrad Hederich von Maulbach, Ambts Homberg an der Ohm.“
Folgt ein weiteres, undatiertes Schreiben von Johann Conrad Hederich an die Visitationskommission und den Obervorsteher von Geismar
„Hochedle Gestrenge, Veste und Hochgelahrte, Hochfürstl[iche] Hess[ische] Hochverordnete Herren Commissarii und Räthe, wie auch Hochwohlgebohrner Herr Obervorsteher, Sambt und sonders hochgeehrteste und hochgebietende Herren p.p.
Ewer Hochedle Gestr[enge] vest und h[ochgelahrte] herrl[iche] und hochwohlgebohrn H[errn] Obervorsteher kan ich unterthänigst und wehemütigst nicht bergen, was masen alß ein armer gebrechlicher und an lincker Hand gantz lahmer Mensch, vor ohngefehr 3 Jahren von der Schul zu Oberoffleiden, Ambts Homberg an der Ohm, gekommen, worauff ich 22 Jahr lang gestanden, auch wehrender Zeit dem H[errn] Pfarrherr Happel daselbst 11 Jahr das Predigtambt verrichten helffen. Nachgehender Zeit aber mich zu Großhausen, Ambts Järgerberg, bey meinem Bruder auffgehalten, dessen Kinder benebst andern informiret und den H[errn] Pfarrherr M[agister] Joh[ann] Dan[iel] Kiehlen im Predigen zu weilen
sublevirt, laut beygehendem Attest Nr. 1. Von dar aber wieder weg – und nacher Niederoffleiden zu der Frau Obristin Schenkin kommen, deroselben 2 adl[ige] Söhne eine Zeitlang informiret, vermög beykommenden Brieffleins Nr. 2. Weilen selbige aber nacher Giesen gezogen und die adl[igen] Kinder in Fürstl[iches] Paedagogium gethan, habe ich meine
Dimission erhalten. Darauff mich ferner nach Maulbach, Ambts Homberg an der Ohm, zu meinem Bruder begeben und daselbst ohne
Condition leben müssen, ohne daß dem dasigen H[errn] Pfarrer dann und wann eine Predigt abgenommen, vermög beygehenden Briefflein Nr. 3.
Weilen aber bey anwachsendem Alter (da fast das 48. Jahr erreicht) auch meine Baufälligkeit (welche vom 3. Jahr meines Alters angehoben) zugleich mitanwächset und also gantz u[nd] gar keine Handarbeit verrichten niemahl können, auch noch nicht kan:
Alß
implorire Ew[er] Hochedl[en] Gestr[engen] Vest und Hochgelahrte p.p. in unterthänigstem Gehorsamb ich hiermit, selbige h[ochgünstig] gn[ädi]gst geruhen wolten, bey solchen wahrhafften Umbständen auß hochchristmild[en] Gnaden mich armen gebrechlichen, lahmen Menschen bey diesem hohen Furstl[ichen] Sambthospital mit einem
Beneficio und ohnmasgeblichen
officio - etwa der Lectorstell - zubegnadigen und zubelegen, weil nach dem von Gott mir verliehenem Talent gerne demselbige und dem Nächsten zu dienen mich schuldig erkenne.
Vor solche hohe Gnade von Ew[er] Hochedl[en] Gestr[engen] Vest und Hochgelahrte Herrn will lebenslang nebst unverdrossenem Gehorsam und Diensten mit Seuffzen zu Gott vor selbige mich schuldigstwilligst und Gehorsam erfinden lassen, dero gedeylichen Resolution und Erhörung mich unterthänigst getröstend.
Ew[er] Hochedl[en] Gestr[engen] Vest und Hochgelahrten Fürstl[ichen] Commissarien und hochfürstl[ichen] Räthen wie auch Ew[er] hochwohlgeb[orenen] H[errn] Obervorstehers p. p.
Anno, quo
PaX reDeat, ViVatqVe ô paX! MoX VosqVoqVe
LaCtet. Et
VtsVppLex VersVs VerVs reDDatVr IoVa!
en opto toto CorDe peto qVoqVe ego.
unterthänig-gehorsamster
Johann Conrad Hederich”
Es folgt ein Zettel, der die Beratung der Geheimen Räte in Darmstadt festhält und dem Obervorsteher in Haina mitteilt.
Darmstadt, den 18. Juni 1711
Die Geheimen Räte aus Darmstadt an den Obervorsteher von Geismar
„Nachdeme wir nun unßers Orths dem Supplicanten, aus denen von ihme angeführten Umbständen, indem er, obschon an der Hand lahm, dennoch zu der Leserstelle tüchtig ist, zu
gratificiren, keinen Anstand finden, so hettet Ihr dahin anzutragen, daß er zu solcher Stelle, umb die Kost dafür zu geniesen, gelangen möchte, gestallten doch der alte Leser
ad dies vitae verpflegt werden solle.“
Es folgt ein weiterer Zettel, Konzept, der undatiert ist, aber vom 10. Juli 1711 stammt. Auf diesem teilen die beiden hessischen Landgrafen, Karl und Ernst Ludwig dem Obervorsteher mit, wie der alte Leser zu behandeln sei.
An Stelle des alten Lesers, „welcher seines hohen Alters, abnehmender Sinne, Sprache und Gesichts halber diese
Incumbenz nicht mehr wohl versehen kann, ein anderer angenommen, und ihme diese Function gegen Reichung der halben gewöhnlichen Besoldung, und noch über dieses, nach befindung seiner Capacitet, jährlich 4 bis 5 Cammergülden übertragen werden möge.“
Die Regelung gilt zu Lebzeiten des alten, der die zweite Hälfte des Gehalts auch weiterhin bekommen soll.
Carl, Landgraf zu Hessen-Kassel an den Obervorsteher von Geismar
Von Gottes Gnaden Carl Landtgraff zu Heßen, Fürst zu Herßfeldt, Graff zu Catzenellnbogen, Dietz, Ziegenhain, Nidda und Schaumburg p.
Vest- und Mannhaffter, Lieber getreuer,
waß Ihr wegen Bestellung eines neuen Lesers an des
Emeriti Kauderbachs Stelle zu Haina an Uns unterth[äni]gst erinnert, derentwegen haben Wir gnädigst Befehl an den Pfarrer Arnoldi daselbst beyliegendt ergehen laßen. Waß dann des neuen Lesers Besoldung undt Gehalt betrifft, gleichwie euch Unsere zur letztern Hainischen Visitation abgeordnete bekannt gemacht haben, waß wir gn[ädig]st verwilliget, daß dem Emerito Kauderbach die Helffte der Geldtbesoldung, nebst seinem sonstigen gehabten Gehalt, ad dies vitae erlaßen werden könte, die andere Helfte der Geldtbesoldung aber nebst übrigem Unterhalt, gleichwie der Kauderbach solche gehabt, dem neuen Leser gereichet werden mögte. Und wegen des von euch ohnmasgebig vorgeschlagenen
Additaments über beyder zutheilenden 15 Rthlr. Geldtbesoldung, so achtzehn Cammergülden und zwölff alb ertragen, im Übrigen Unsere gn[ädig]ste Meinung dahin gehet, daß zuforderst zuerwarten seye, des neuen Lesers Capacitaet und was er mehr als der abgelebte Kauderbach bei seinem Wohlwesen gethan, praestiren würde, alsdann demselben das additament über 15 Rthlr., welche bis 27 G. uf 8 G. 14 Alb. eurerer gethanen Vorstellung nach sich betragen, von Zeit seiner Bedienung dem Befinden nach bey künfftigem Rechnungstage nachzuweisen noch Zeit genug seyn werde. Alß haben Wir euch solches hiermit gnädigst bekandt machen und befehlen wollen, daß ihr demselben also nachkommen möget, womit Wir euch in Gnaden wohlgewogen verbleiben,
Cassell, den 20. Aug. 1711“